Digitale Geschäftsmodelle und juristische Winkelzüge Die Cloud und das Urheberrecht
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Jüngst hat ein eher unscheinbares Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ein Schlaglicht auf die Themen Urheberrechte und Gestehungskosten in der Cloud geworfen. Dabei ging es um die Frage, ob auch Cloud-Provider für die Online-Speicherung geschützter Dokumente für eine Urheberrechtsabgabe zur Kasse gebeten werden.

Die Richter hatten entschieden, dass auf die Speicherung einer zu privaten Zwecken erstellten Kopie eines geschützten Werkes in einer Cloud die sogenannte „Ausnahme für Privatkopien“ gemäß der Richtlinie 2001/29/EG (Urheberrechtsrichtlinie) anwendbar ist. Rechtsinhaber, so die Entscheidung, müssen einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei hierfür nicht unbedingt der Cloud-Anbieter aufkommen muss.
Die Austro-Mechana Gesellschaft zur Wahrnehmung mechanisch-musikalischer Urheberrechte GmbH aus Wien hatte ein sogenanntes Vorabentscheidungsersuchen gestellt. Ihr Ziel war es, zu klären, auf welcher Rechtsgrundlage ihr Rechtsersuchen überhaupt entschieden werden könne. Zuvor hatte Austro-Mechana gegen die Berliner Strato AG geklagt. Hierbei wollte sie Urheberrechte für den Fall geltend machen, dass Strato auf seinen Servern Arbeitskopien von Inhalten seiner in mehreren EU-Ländern tätigen Mandanten anfertigt. Die Frage war dabei, ob das im Rahmen von Betreiberprozessen notwendige interne Kopieren von Inhalten bereits Urheberrechte tangiert oder verletzt. Hierfür musste der zweite Senat des EuGH neben den österreichischen und deutschen Mediengesetzen auch die von Dänemark, Frankreich, Niederlande und der EU berücksichtigen.
Ein strukturimmanentes Dilemma gebiert viele Fragen
Der Richterspruch sorgte zwar nur in einem kleinen Teilbereich der Thematik für Klarheit. Er verdeutlichte aber, dass es bei der Wahrung von Urheberrechten ein strukturimmanentes Dilemma zu überwinden gibt: Juristische, technische und ökonomische Zusammenhänge sind fast undurchdringbar ineinander verwoben, sodass funktionale oder gar Preistransparenz nur für Insider herstellbar ist. Das Urteil besagte erstens, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10) betreffe. Zweitens ergehe es im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Austro-Mechana und der Strato AG wegen der urheberrechtlichen Abgabe, die letztere für die von ihr erbrachten Dienstleistungen schulde.
Hierbei lag gleich ein ganzes Bündel von Fragen vor: wie nämlich sich bestimmte Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft harmonisieren lassen; welche Ausnahme für Privatkopien gelten können; wie der Begriff „auf beliebigen Trägern“ auslegbar ist; wie Server zu bewerten sind, die im Besitz dritter Personen stehen und natürlichen Personen zum privaten Gebrauch zur Verfügung gestellt werden; welche nationalen Regelungen berücksichtigt werden müssen, nach der die Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen nicht der Abgabe für Privatkopien unterliegen; und nicht zuletzt, wie hierbei ein gerechter Ausgleich zustande kommen kann.
Klage auf Speichermedienvergütung
Austro-Mechana erhob vor dem Handelsgericht Wien (Österreich) Klage auf Rechnungslegung und Zahlung einer „Speichermedien jeder Art“ betreffenden Vergütung, weil Strato unter dem Namen „HiDrive“ für ihre Geschäfts- und Privatkunden eine Dienstleistung erbringe, mit der sie diesen im Rahmen des Cloud-Computing Speicherplatz zur Verfügung stelle.
Strato trat diesem Klagebegehren entgegen, da für Cloud-Computing-Dienstleistungen keine Speichermedienvergütung anfalle. Sie habe in Deutschland, dem Mitgliedstaat, in dem ihre Server gehostet seien, bereits die Urheberrechtsabgabe geleistet, da diese vom Hersteller oder Importeur der Server eingepreist worden sei. Auch die Nutzer in Österreich hätten bereits eine Urheberrechtsabgabe für die Anfertigung von Privatkopien auf den Endgeräten gezahlt, die für das Hochladen der Inhalte in die Cloud erforderlich seien. Strato erbringt unter dem Namen „HiDrive“ für ihre Geschäfts- und Privatkunden eine Dienstleistung, mit der sie diesen im Rahmen des Cloud-Computing Speicherplatz zur Verfügung stellt.
Speichermedium oder Speicherplatz?
Mit Urteil vom 25. Februar 2020 wies das Handelsgericht Wien die Klage von Austro-Mechana ab, da Strato keine Speichermedien an ihre Kunden abgebe, sondern für diese eine Dienstleistung der internetgestützten Speicherung erbringe. Austro-Mechana legte gegen dieses Urteil beim Oberlandesgericht Wien Berufung ein. Dieses Gericht verweist auf das Urteil vom 29. November 2017, VCAST (C‑265/16, EU:C:2017:913), und stellt fest, dass nicht ganz klar sei, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 die Speicherung von Inhalten im Rahmen des Cloud-Computing erfasse.
Kurzgefasst, begründete der EuGH seine Entscheidung damit, dass „für die Anwendung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 funktional nicht danach zu unterscheiden ist, ob die Vervielfältigung eines geschützten Werkes auf einem Server stattfindet, auf dem der Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt, oder ob diese Vervielfältigung auf einem dem Nutzer gehörenden physischen Speichermedium erfolgt“. Somit sei davon auszugehen, dass ein Server, auf dem der Anbieter von Cloud-Computing-Dienstleistungen einem Nutzer Speicherplatz zur Verfügung stellt, von dem Begriff „auf beliebigen Trägern“ im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 erfasst wird.
Letztlich sei Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 dahingehend auszulegen, dass er der Umsetzung der Ausnahme im Sinne dieser Bestimmung durch eine nationale Regelung, nach der die Anbieter von Dienstleistungen der Speicherung im Rahmen des Cloud-Computing keinen gerechten Ausgleich für Sicherungskopien leisten müssen, die natürliche Personen, die diese Dienste nutzen, ohne Erlaubnis von urheberrechtlich geschützten Werken zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke erstellen, nicht entgegensteht, sofern diese Regelung die Zahlung eines gerechten Ausgleichs an die Rechtsinhaber vorsieht. Für Leserinnen und Leser, die sich von Schachtelsätzen wie dem vorangegangenen nicht abschrecken lassen, hier der Link auf den Urteilstext.
Virtuelle Geschäftsmodelle – ein juristischer Dschungel
Um den Zusammenhang zwischen der Rechtsprechung bei Netzmedien und der Firmenpolitik von Anbietern im Segment Cloud-Services zu beleuchten, lohnt sich sowohl der Blick in den Urteilstext selbst als auch der in die Ökonomie generell. Geschäftsmodelle gelten immer dann als besonders gut, wenn sie bei dem, der sie betreibt, satte bis gute Erlöse einspielen. Sie gelten als nahezu perfekt, wenn sie dabei auch bei Kunden das Gefühl erzeugen, mit dem Kauf entsprechender Produkte oder Services auf der sicheren Seite zu stehen und in absehbarer Zeit sogar Geld zu sparen. Damit Unternehmensgewinne und Kundennutzen eintreten, gibt es neben den Geschäftsmodellen die Geschäftsbedingungen. Letztere werden auf Grundlage nationaler Gesetzgebungen in Anbieter- und Nutzerländern formuliert. Die hierbei auftretende Diskrepanz bei Rechtauffassungen ist ungefähr so kompliziert wie die Funktionsweise von Kubernetes oder Machine-Learning-Algorithmen.
Was Adam Selipsky (AWS) oder Scott Guthrie (Microsoft) aus dem Inneren der Cloud und Max Schrems (Meta-Jäger und Privacy-Aktivist) oder Thomas Hoeren (Medienrechtler) aus der Außensicht betreiben, ist trotz ihrer Qualität gleichermaßen schwer durchschaubar. Die Gründe liegen innerhalb der Cloud im beliebig containerisierten und hybriden Virtuellen, außerhalb derselben ist es die juristische Terminologie. Beides zu lichten, lohnt sich. Denn die Querelen beispielsweise um den Privacy Shield lassen nichts Gutes erahnen. Anfang April hatten EU und USA einen neuen Privacy Shield in Aussicht gestellt. Ob dieses vor dem EuGH und der Expertise eines Max Schrems bestehen kann, ist jedoch fraglich. Bis es bezüglich des Transfers personenbezogener Daten zwischen der EU und den USA Rechtssicherheit gibt, werden Experten zufolge noch Monate vergehen. Bis dahin operieren Unternehmen in dieser Frage im rechtsfreien Raum.
Prof Hoeren, seit jeher ein unbequemer weil sehr pointiert auf Streitfälle blickender Experte für IT- und Medienrecht von der Uni Münster, hob jüngst in seinem lesenswerten Newsletter „infolaw-th“ besagtes Urteil hervor, das einen Baustein zur Erklärung dessen liefert, worum es bei all diesen Auseinandersetzungen geht: Geld. Und damit um die Frage, wer seine Inhalte in welcher Form verbreiten, vervielfältigen oder andersartig nutzen darf, um Geld zu verdienen.
Die zitierten Textstellen aus dem Urteil zeigen das eingangs erwähnte Dilemma bezüglich Intransparenz, hier seitens Rechtsprechung: Im Juristischen generell, besonders aber im Segment Medienrecht, hat sich eine konstruierte Syntax entwickelt, die dem Code der Cloud und ihrer dort angesiedelten Systeme und Algorithmen in ihrer Komplexität und für Normalbürger unverständlichen Sprache in nichts nachsteht.
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